Teil 2

AGITATION IST AGGRESSION

In seinem Donnerstag-Kommentar zum Urteil des DFB-Sportgerichts schrieb er:

In der Fehde zwi­schen BVB-Fans und Hof­fen­heims Ober­boss Dietmar Hopp werden inzwi­schen ja nicht nur Sport­ge­richte, son­dern auch die klas­si­sche Justiz bemüht. Und der Kon­flikt hat den Fan­szenen geschadet wie kaum ein anderer der letzten Jahre.

 

Inwiefern dieser Konflikt den Fanszenen geschadet habe, führt er bestenfalls indirekt aus:

 

Denn bereits im Früh­sommer 2019 ist in der Causa Hopp ein Urteil gespro­chen worden, das die Kultur des Fuß­balls tief­grei­fend ver­än­dern könnte, nicht auf dem Rasen, son­dern auf den Rängen. Anhänger von Borussia Dort­mund wurden zu Geld­strafen ver­ur­teilt, weil sie beim BVB-Aus­wärts­spiel in der Saison 2017/18 Dietmar Hopp als ​Sohn einer Hure“ besungen hatten.

 

Dadurch soll ein "Schaden" entstanden sein? Weil jemand sein Recht wahrnimmt? Jeder weiß, dass auch ein Fußballstadion kein rechtsfreier Raum ist. Und „Üble Nachrede“ ist nun einmal eine Straftat, die mit Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe von bis zu 2 Jahren bestraft werden kann. (§ 186 StGB)

 

Der Hof­fen­heimer Boss hatte einige Monate später Straf­an­trag gestellt, am Ende wurde ins­ge­samt gegen fast 50 BVB-Fans ermit­telt und drei Anhänger in einem merk­wür­digen Ver­fahren voller juris­ti­scher Stock­fehler ver­ur­teilt. 

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Bildquelle: obs/CODUKA GmbH/k.A.

Die Erwähnung der „Stockfehler“, womit ja leichte, vermeidbare Fehler in der Handhabung des Spielgeräts gemeint sind – und was Puck oder Ball im Sport können ja vor Gericht nur die Gesetze sein – suggeriert zumindest eine Rechtsbeugung durch das Gericht zugunsten des Milliardärs gegen die „armen Schlucker“.

 

Ist es aber nicht so, dass, wären es wirklich „Stockfehler“ gewesen, die Gegenseite Berufung eingelegt hätte und das erstinstanzliche Urteil aufgehoben worden wäre? Das war aber bislang nicht der Fall. Also vielleicht doch keine „Stockfehler“, sondern schlicht „Recht“ – und zwar ganz im Sinne des Artikel 3 des Grundgesetzes, wie es auf einem Banner des BVB-Fanblocks zu lesen war: Gleiches Recht für alle.

 

Um all die Merk­wür­dig­keiten des Pro­zesses auf­zu­zählen, reicht der Platz dieser Kolumne nicht aus. Sei es der bizarre Auf­wand, der zuvor von den Ermitt­lern betrieben wurde; allein sechs Wochen saß ein Sach­be­ar­beiter an der Ana­lyse der Video­auf­nahmen. Oder die Wei­ge­rung des Gerichts, Dietmar Hopp als Zeugen zu befragen, es befand sich nicht einmal eine ladungs­fä­hige Adresse in den Akten, so dass die Ver­tei­diger ihre Vor­la­dung mit sub­ku­taner Bos­haf­tig­keit an Hopps Golf­klub schickten. Ganz offen­kundig war die Ver­hand­lungs­füh­rung des Gerichts darauf aus­ge­legt, den großen Mäzen der Region nicht mit sol­chen Peti­tessen wie einem Gerichts­pro­zess zu moles­tieren, obwohl der ohne seine Initia­tive gar nicht erst zustande gekommen wäre.

In der Tat mutet der Zeitraum lange an, aber mehr in dem Sinne, wie das mit anderen Meldungen zusammenpasst, wo immer von einer Überforderung der Justiz die Rede ist. Unrechtens macht es das Verhalten nicht. Auch muss er bei einem solchen Straftatbestand nicht gehört werden. Dass er als Person des öffentlichen Interesses seine Privatadresse auch dem Anwalt der Gegenseite nicht geben möchte, zumal er es nicht muss, ist sein gutes Recht. Außerdem gab es ja eine Adresse, an die die Gegenseite ihre Vorladung schicken konnte. Es war also kaum mehr als ein symbolischer Akt des Anwalts.

Dass Herr Köster in diesem Zusammenhang von „unter die Haut gehender(subkutaner) Boshaftigkeit fabuliert, ist auch eher ein Beleg dafür, dass ihm an Sachlichkeit nicht gelegen ist. Die folgende Wortwahl wie „störende Kleinigkeiten(„Petitessen“) oder „belästigen(„molestieren“) sind ebenfalls ein Zeichen für die agitative (ja: hetzerische) Absicht des Beitrags, da sie eine Hierarchie suggeriert.

Und was soll der letzte Satz? Ärgert sich Herr Köster darüber, dass da ein Mann Ernst macht bei unser aller Versuch, diese Menschen in ihre Schranken (des Rechtsstaats) zu weisen? Wenn Herr Hopp nun kein Milliardär aus dem Kraichgau wäre, sondern ein Mittelloser aus dem Kongo, wäre das dann für ihn anders? Wenn ja, wieso? Gleichheit vor dem Gesetz wäre das dann ja nicht.

Man kann diesen Pro­zess als Pro­vinz­posse abtun, als gut orches­trierten und von seinem Medi­en­an­walt Chris­toph Schickardt vor­an­ge­trie­benen Rache­feldzug eines Mannes, der zuvor immer lässig ver­kündet hatte, die Schmä­hungen in den Sta­dien prallten an ihm ab. Dann aber würde man die Signal­wir­kung eines sol­chen Urteils unter­schätzen, das ein ent­schei­dender Schritt hin zur Domes­ti­zie­rung der Fan­kurven ist, hin zum Fuß­ball, den sich die Hopps und Schick­hardts dieser Fuß­ball­welt wün­schen.

Das ist natürlich ebenfalls eine Unterstellung. Und als Chef eines Leitmedium und ein großer Fürsprecher der Szene muss er sich klar sein, wie die Seinen das verstehen: als ob man ihnen hier ein Grundrecht nehmen wolle, welches sie sich gefälligst nicht gefallen lassen sollen. Wie sie das tun sollen, sagt er nicht.

Denn wenn Fan­blöcke mit Richt­mi­kro­fonen abge­hört und mit hoch­auf­lö­senden Kameras über­wacht werden, und wenn im Sta­di­on­kon­text seit Jahr­zehnten übliche Schmä­hungen plötz­lich zu Straf­tat­be­ständen werden, dann muss end­lich nicht nur das Gefasel von den Sta­dien als rechts­freie Räume ein Ende finden, son­dern auch Abschied genommen werden von der Vor­stel­lung, die Fan­blöcke in den Sta­dien seien noch ein Ort, an dem sich Emo­tionen Bahn bre­chen können, an dem tra­di­tio­nelle Fan­kultur gelebt werden kann.

Das ist ein ganz wunderbares Beispiel für einen Mangel an Reflektion. Wenn irgendwelche Zuschauer/innen schwarzhäutigen Spielern Affenlaute und rassistische Kommentare entgegenschreien, dann kann es für diese Leute keine Entschuldigung sein, dass sich ihre Emotionen in diesem Moment Bahn brachen.

Er selbst verurteilt das ja in dem oben erwähnten Artikel zu Stefan Chat­rath. Wenn es aber gegen einen gewiss materiell und sozial privilegierten Menschen geht (Mann, weiß, alt, reich, heterosexuell, (wahrscheinlich) christlich), da hat er ganz offensichtlich eine andere Sicht der Dinge.

Wer nun abwinkt und von den Anhän­gern in der Kurve for­dert, sich ein­fach mehr zusam­men­zu­reißen und auf per­sön­liche Belei­di­gungen zu ver­zichten, macht es sich zu ein­fach. Denn derlei Gerichts­ver­fahren sind nur ein kleiner Teil der viel­fäl­tigen Bemü­hungen des Fuß­bal­lesta­b­lish­ments, end­lich die reni­tenten Fan­blöcke unter Kon­trolle zu bekommen, deren Pro­teste seit jeher die Geschäfte mit dem Fuß­ball ver­miesen.

Welch herrliche Volte. Ganz allgemein: Wer würde nicht versuchen wollen, die Kräfte unter Kontrolle zu bekommen, die die eigenen Geschäfte vermiesen? Konkreter: Wer oder was ist das „Fußballestablishment“? Auch hier spielt der Autor die Karte der Unterdrücker bzw. der Unterdrückten, was ebenfalls nichts weiter ist als Agitation. Wie auch das:

Zu diesen Bemü­hungen gehören die durch­schau­baren Ver­suche, Pyro­technik zum Gewalt­ver­bre­chen hoch­zu­stufen ebenso wie die hane­bü­chene Legende von ver­meint­li­chen Ultra-Strip­pen­zie­hern in der Ver­eins­po­litik. Am Ende soll in Fuß­ball­sta­dien eine Atmo­sphäre herr­schen wie bei Musi­ca­lauf­füh­rungen, asep­ti­sche Unter­hal­tung für die ganze Familie.

Wer will Pyrotechnik zum „Gewaltverbrechen“ machen? Es ist einfach eine Behauptung, die das "Opfer-Narrativ" derer stärkt, sich sich als die Gralshüter des Fanwesens verstehen. Stimmen tut sie nicht.

Was stimmt, ist, dass der Besitz sowie die Verwendung von Pyrotechnik ganz genau im Sprengstoffgesetz geregelt ist. Die Menschen, die Pyro in Stadien verwenden, verfügen nicht über die gesetzlich vorgeschriebenen Qualifikationen. Das ist nun mal Fakt. Und Gesetz – und es gilt genau das, was auf dem Banner am BVB-Block stand: „Gleiches Recht für alle!“, also auch kein Sonderrecht für Stadionpyromane.

Und wenn Herr Köster hier schon von „hanebüchenen Legenden“ spricht: Zu denen zählt eben auch diese, die er hier abschließend erwähnt: dass (wer auch immer) eine Atmosphäre von Musicalaufführungen sowie der keimfreien (aseptischen) Unterhaltung für die ganze Familie herrschen solle. Auch hier wird von ihm einfach sehr wenig reflektiert und extrem stark agitiert, denn ...

  • Wenn etwas an „Musicalaufführungen“ erinnert, dann sind es doch genau jene Choreos in Stadien meist vor großen Spielen. Und die werden in den allermeisten Fällen doch von denen organisiert und durchgeführt, für die er zu sprechen glaubt. Sind sie für ihn also Teil des „Fußballestablishments“?  Müssten sie, zumal diese teilweise extrem aufwändigen Choreos, was sie ja geradezu zu Bühnenbildern macht, auf die gewiss manch Musical stolz wäre, sich gewiss nicht ausschließlich durch vereinsferne Spenden finanzieren.
     
  • Und was wäre so schlimm daran, wenn ein Fußballspiel Unterhaltung für Männer, Frauen und Kinder, sprich: die gesamte Familie böte. Braucht es dazu „Arschloch, Wichser, Hurensohn“? Wenn ja, warum dann nicht auch „Neger“, „Fotze“, „schwule Sau“? Wäre das dann nicht „Gleiches Recht für alle“? Nichts anderes forderte ja Prof. Chatrath. Faktisch wäre es das, aber selbstverständlich gibt es einen breiten Konsens in unserer Gesellschaft, dass das nicht akzeptabel ist.

Aber wenn das eine nicht geht, geht das andere auch nicht. Das ist logisch und „Gleiches Recht für alle.“ Und ein Mann in seiner Position, mit seinem Intellekt, seiner Erfahrung und auch seiner Sensibilität, sollte sowohl das wissen als auch, dass es Menschen gibt, die zu anderen Menschen aufschauen, sie als Führungs- bzw. Leitfiguren ihrer Sache sehen und sich durch das, was sie verlautbaren, bestärkt fühlen in ihrem Denken („Endlich sagt’s mal einer.“) und motiviert fühlen zu handeln in dem Sinne, wie sie ihn verstanden haben.

Ob Herr Köster diese Intention hatte, glauben wir nicht, aber wissen kann er es nur selbst. Aber dass die Argumentation seiner Agitation aus seinem Kommentar wirkte, konnte nicht nur er samstags drauf im Borussenpark erleben. (Teil 3 --->)

Teil 1

Agitation ist Aggression

Am 20. Februar 2020 kommentierte der Chefredakteur des Fachmagazins für Fußballkultur „11 Freunde“ das Urteil des DFB-Sportgerichts gegen Borussia Dortmund.

Teil 3

Agitation ist Aggression

Zu Beginn der 2. Halbzeit wurde ein Doppelhalter hochgehalten, auf dem Dietmar Hopp im Fadenkreuz zu sehen war, also das gleiche Motiv, dass der anderen Borussia nun den Ärger vor dem DFB-Sportgericht einbracht – nur mit dem Unterschied, dass das Fadenkreuz diesmal grün und nicht schwarz war. Es wurde also extra für diesen Zweck angefertigt.

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