LEERES STADION – VOLLE KNEIPEN

von johannes wierz

 

Jetzt ist es amtlich. Nicht nur das Nachholspiel zwischen Borussia Mönchengladbach und dem 1.FC Köln am heutigen Abend, sondern auch alle nächsten Bundesligapartien werden vor leeren Rängen stattfinden.

Aus diesem Grund habe ich mich für heute mit Martin S., 44 Jahre, Verwaltungsangestellter, verabredet, um in einer Sportbar das Nachholspiel zu verfolgen.

Wir treffen uns bei Nieselregen um 17.00 Uhr.

Von Martin S., Vereinsmitglied und treuer Borussia-Fan seit seiner Kindheit, erfahre ich, dass die Ultras sich trotzdem am Stadion treffen wollen, um die Mannschaft von Außen anzufeuern. Zwar hat die Vereinsführung davon abgeraten, aber niemand glaubt, dass sich die Ultras davon abhalten werden. Brisant könnte es werden, wenn die Kölner Ultras dieselbe Idee haben. Keine Ahnung, ob ein Großaufgebot der Polizei trotzdem vor Ort sein wird.

Martin S. ist ein wenig angefressen, weil er sich wegen des frühen Anpfiffs für das Nachholspiel bei seinem Arbeitgeber einen halben Tag frei genommen hat.

Natürlich verstehen wir, dass die Partie wegen des Corona-Virus ohne Zuschauer stattfinden muss. Aber Martin S. fügt hinzu, dass man mittlerweile den Eindruck gewinnen muss, dass es sich um ein Virus handelt, das man nur in seiner Freizeit bekommen kann. Er selbst arbeitet bei einer Behörde mit über sechshundert Mitarbeitern und Publikumsverkehr. Die Hygienemaßnahmen  sehen eher dürftig aus.

Kurz nach 17.00 Uhr betreten wir die erste Sportbar. Ein kleiner Raum mit vier Stehtischen, einer lang gezogenen Bar und einer kleinen Sitzecke. Das Lokal verfügt über drei Fernseher. Nutzt uns beiden aber nichts, da alle Plätze besetzt sind. Der Barkeeper zuckt mit den Schultern und schenkt uns ein mitleidiges Lächeln zum Abschied.

Eine halbe Stunde später erreichen wir eine größere Kneipe, die bei schönem Wetter auch die Fußballspiele nach draußen überträgt. Bei dem nasskalten Wetter ist natürlich nichts aufgebaut.

Zehn Tische, eine große Bar mit vielen Barhockern. Aber nicht ein Platz ist frei. Niemand im Lokal macht den Eindruck, dass er nur zum Essen gekommen ist und pünktlich zum Anpfiff seinen Platz freimachen wird.

Also weiter.  

Wir nehmen das Auto, mit der Hoffnung vielleicht in einem abgelegenen Stadtteil ein unscheinbares Lokal mit Fußballübertragung zu finden. Während der halbstündigen Autofahrt denke ich darüber nach, was wohl mit all den Würsten passiert. Fünfzigtausend sind es pro Spiel bestimmt, nicht eingefroren, sondern nur in der Kühlung. 

Gegen 18.00 Uhr erreichen wir unser Ziel. Die Neonreklame ist aus und auch durch die Butzenscheiben der Sportgaststätte dringt kein Licht. Auf einem selbstgemalten Plakat an der Tür steht „Wegen Krankheit geschlossen“ ...

„Wir hätten zum Stadion fahren sollen“, murmelt mein Fahrer und wischt auf dem Display seines Smartphones herum. „Was hältst du vom Irish-Pub?“

Ich nicke und steige zurück in den Wagen.

Während der Fahrt diskutieren wir die Entscheidung der DEL, die den laufenden Eishockeyspielbetrieb eingestellt hat und zum ersten Mal keinen Meister ausspielen wird. Wäre das auch in der Fußballbundesliga möglich? Wer qualifiziert sich für die Champions- und Europa League, wer steigt auf oder ab? Ein Rattenschwanz, der bis in die untersten Ligen reichen würde. 

Zudem glaube ich, dass die Gefahr sich mit dem Corona-Virus anzustecken in einer vollen Kneipe bestimmt nicht geringer ist.

Fast zeitgleich mit dem Anpfiff des ersten „Geisterspiels“ der Fußball-Bundesliga betreten wir den Irish-Pub, eine Kellerkneipe mit vielen Gängen und Nischen, in denen überall ein Flachbildschirm hängt. Ein Drittel aller Plätze sind frei. Gerade ist auf allen Bildschirmen das erste Tor gefallen. Der Schütze lässt sich von seinen Mannschaftskollegen feiern. Borussia Mönchengladbach führt seit der 32. Minute durch Breel Embolo.

Wir bestellen ein Bier und eine Kleinigkeit zu Essen und bekommen von der Bedienung unmissverständlich zu verstehen, dass wir in der Halbzeit unsere Plätze abgeben müssen. Am Abend spielt im Achtelfinale der Champions League Paris gegen Dortmund.

„Dann ist die Hütte voll!“, so der Wirt.

Hastig trinken wir unser Bier und schlingen einen labbrigen Hamburger herunter. Meine Begleitung telefoniert und streckt mir den Daumen nach oben entgegen. Nach zehn Minuten haben wir unser Ziel erreicht.

Eingetragener Verein

Der als gemeinnützig anerkannte Verein „Faire Fans e.V.“ versteht sich als Stimme der schweigenden Mehrheit der friedliebenden Fans.

Der krankgeschriebene Arbeitskollege von Martin S. öffnet uns mit einer Rotzfahne die Tür.

„Bier ist im Kühlschrank, ansonsten weißt du ja, wo alles ist“, haucht mit heiserer Stimme der Hausherr und schlurft im Bademantel zurück in sein Schlafzimmer. 

Bei kaltem Bier genießen wir die zweite Halbzeit des Nachholspiels Gladbach gegen Köln und sehen noch zwei Tore, die von den jeweiligen Mannschaftsmitgliedern auf der Bank bejubelt werden. Später betritt die Mannschaft von Borussia Mönchengladbach einen Balkon des Borussia Parks und lässt sich von den Ultras, die sich teilweise als Gespenster verkleidet haben, für ihren Arbeitssieg (2:1) feiern. 

„Hatschi!“, kommentiert der Kollege aus dem benachbarten Schlafzimmer die letzten Bilder der Liveübertragung. Wir machen den Fernseher aus und verabschieden uns im Chor:

„Gesundheit!“ 

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