Um die Wurst

von johannes wierz

Jedes Jahr fiebere ich der Saisoneröffnung entgegen: Was gibt es Schöneres, als die neue Spielzeit mit einem Heimspiel im Borussiapark zu beginnen? Schon vom Parkplatz her steigen einem die Essensgerüche der einzelnen Buden in die Nase. Oregano, Zwiebeln, Knoblauch und Thymian dominieren neuerdings die Rauchschwaden rund um den Ständen, deren Angebot an Esswaren Jahr für Jahr umfangreicher wird.

Seit letzter Saison Jahr gibt es sogar Veggieburger und Wurst ohne Fleisch.  Ich schlendere vorbei und lächle innerlich, denn ich weiß, was auf mich zukommt: mein Bierstand und meine Würstchenbude. Ein Bier, eine Bratwurst, die in der Sonne glänzt und die von mir erwartet, dass ich sie in eine Handvoll Senf tauche. Vor dem Spiel und in der Halbzeitpause ein Muss!

Wenn man so wie ich seit Jahren kein Heimspiel verpasst hat, findet man blind seinen Platz. Die Menschen, die die Zapfhähne bedienen und die Würste wenden, sind einem genauso vertraut wie jeder Stammspieler, der Stadionsprecher oder der Zeugwart. Wohnzimmeratmosphäre eben. Doch in diesem Spätsommer ist bei der Eröffnung etwas anders. Es liegt in der Luft. Ich weiß aber noch nicht was. Gut, ab und an riecht es nach frischer Farbe, aber auch das bin ich seit Jahren gewohnt.

Zum Glück bin ich früh genug da, um mir längere Schlangen vor dem Bier- und dem Würstchenwagen zu ersparen. Während sich vor dem Getränkestand wenigstens eine kleine Traube gebildet hat, gehen am Wurststand die schwarz-weiß-grünen Schalträger kopfschüttelnd vorbei. Sollte etwa die fleischlose Wurst Einzug in mein Wohnzimmer gehalten haben?

Ich wedele mit dem „Fohlenecho“ und versuche so, die Bratdünste in meine Nase zu ziehen. Nein, nein, das ist eine astreine Bratwurst mit all den Gewürzen, die dazugehören. Meine Nasennerven haben mich noch nie getäuscht. Während ich also Mannschaftsaufstellung und Neuzugänge im Stadionheft studiere, stelle ich mich nichtsahnend an die Wurstbude. Die Preise sind geblieben.

„Verräter“, sagt ein schwarz-weiß-grüner Schalträger und stupst mich in die Seite.

Was habe ich verpasst? Was ist los? Aus einem spitzen Augenwinkel heraus sehe ich, das keine einzige Wurstsorte „vegan“ spezifiziert ist. Aber dann lese ich, in großen Lettern auf dem Schild: Die Wurst kommt aus einer benachbarten Stadt, deren Maskottchen Hörner und einen Bart trägt! Böse Zungen behaupten, dass die Bewohner es wie einen Götzen verehren.

Gibt es am Niederrhein keine Metzger mehr, die anständiges Grillgut herstellen können? Ich trete von der Bude zurück. Demonstrativ verzichte ich nun auch noch auf das obligatorische Bier, wer weiß, wo das gebraut wird.

Eingetragener Verein

Der als gemeinnützig anerkannte Verein „Faire Fans e.V.“ versteht sich als Stimme der schweigenden Mehrheit der friedliebenden Fans.

Ungewohnt betrete ich mit leeren Händen die Ränge und suche meinen Platz auf. Mit Argusaugen registriere ich jeden schwarz-weiß-grüner Schalträger, der genüsslich in eine Bratwurst beißt, um sie anschließend mit würzig-kühlem Gerstensaft herunterzuspülen. Nein, so habe ich mir den Saisonauftakt nicht vorgestellt!

Ohne Wurst und Bier bewegen sich die Zeiger der Uhr wie in Zeitlupe. Mein Mund ist trocken und in meinem Magen geht knarrend eine Küchentür auf. „Hunger, Hunger“, schreien helle Stimmen in mir, die ich nicht kenne. Zum Glück halten meine Nachbarn zur Rechten und zur Linken auch nichts in den Händen. Natürlich wird mit dem Smartphone gescrollt, aber das zählt nicht.

Die Mannschaftsaufstellung wird bekanntgegeben, wurde auch Zeit. Meinetwegen kann es jetzt losgehen. Ruhig eine halbe Stunde früher...

Drei Reihen vor mir hat der Dicke wieder zugeschlagen. Fünf glänzende und bis zu mir hinüber paradiesisch duftende Würste wiegt er auf dem Papptablett zu seinem Platz. Ob sie wissen, was gleich mit ihnen passiert? Vom Auftaktspiel werden sie nichts mitbekommen.

„Bring mir ein Bier mit!“, ruft jemand hinter mir. Mich kann er nicht meinen, denn ich werde die gesamte Spielzeit inklusive Pause im Verzehrstreik bleiben. Wäre doch gelacht. Im Kollektiv stehen wir auf und begrüßen die einlaufenden Mannschaften.

Ich bin fast der einzige, fällt mir auf, der die Hände zum Klatschen frei hat. Selbst meine Nachbarn sind zu Verrätern geworden. Genussvoll verdrehen sie die Augen, als seien sie nur zum Saufen und Fressen gekommen. Leute, Leute, es geht um Fußball!! Saisonauftakt!!! Der Ball rollt wieder, würde ich gerne rufen, wäre meine Zunge nicht zu einem Bimsstein und mein Magen zu einem Tanzboden mutiert.

Zum Spiel ist nicht viel zu sagen. Null-Null eben. So richtig viel habe ich vom Spiel aber auch nicht mitbekommen... Stattdessen befolge ich lieber den Ratschlag meines Arztes: „Hören Sie auf Ihren Körper!“

„Noch eine?“, will der Würstchenverkäufer wissen. Ich nicke nur, denn mit vollem Mund soll man bekanntlich nicht sprechen. Zum Glück trägt der Würstchenstand den Namen einer bekannten Stadt am Rhein, die in Rheinland-Pfalz liegt.

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