Teil 2

Wege in die Gewalt

Die Fairen Fans verurteilen Hass und Gewalt in den Stadien und um sie herum. Nichts daran ist gut, geil oder sonstwie begrüßenswert. Trotzdem möchten wir verstehen, wie es dazu kommt, dass Menschen sich in Ausschreitungen und Exzesse verwickeln lassen oder aktiv daran teilhaben, wobei es immer nur scheinbar um Fußball geht.

In einer ersten Annäherung an dieses Thema haben wir uns deshalb mit einem Ex-Hooligan getroffen, der schon seit seiner Kindheit Fußballfan ist und einst in der Hooliganszene ein zu Hause gefunden hatte, bis er schließlich im Gefängnis landete. Wir haben ihn nach seinen Erinnerungen gefragt, um mehr von seinen persönlichen Beweggründen und von der Hooligan- und Ultraszene verstehen zu können.

Der Interviewte ist inzwischen 50 Jahre alt. Er gab seine Einwilligung zu diesem Interview aus Sicherheitsgründen nur unter der Bedingung, dass es anonym geführt wurde. Wir nennen ihn im Folgenden deshalb Peter M., sein wirklicher Name ist der Redaktion bekannt.

Das Interview wurde für Faire Fans von Markus Menhofer geführt. Wegen seiner Länge und Eindringlichkeit liegt es in zwei Teilen vor.

Teil 1

Wege in die Gewalt

Die Fairen Fans verurteilen Hass und Gewalt in den Stadien und um sie herum. Nichts daran ist gut, geil oder sonstwie begrüßenswert. ...

Fußballfans Stadion Polizei

Wenn ich den Respekt dem Gegenüber zeige, den ich mir gerne wünsche, dann wird ganz vieles besser auf dieser Welt.

Teil 2: Nach der Schlacht. Die Sicht von Heute.

FAIRE FANS: Aus heutiger Sicht: Wenn du heute noch mal 16 wärst, würdest du wieder in so eine Gruppe gehen?

PETER M.: Nein.

FF: Wann endete deine Zugehörigkeit zu dem Club?

P.M.: Nach meiner Gefängniszeit hatte ich den Anschluss verloren.

FF: Warum?

P.M.: Das ist ganz schwierig zu sagen, ich bin zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden wegen versuchtem Totschlag, und in dieser Gefängniszeit habe ich sowas wie einen heilenden Prozess erlebt, der trotz meiner Jugend… Ich wurde da tatsächlich auf den richtigen Lebensweg vorbereitet, indem ich gesagt habe, ich will nie wieder in so eine Situation hereinkommen, dass ich so etwas noch mal erlebe.

FF: Bist du nach dem Gefängnis noch „normaler“ Fußballfan gewesen?

P.M.: Normaler Fußballfan, aber nicht ins Stadion gegangen. Nur noch vor dem Fernseher. Im Stadion laufe ich natürlich Gefahr, dass ich die alten Kollegen wieder treffe.

FF: Ist es schwierig gewesen den Kumpels von damals zu sagen: Ich bin nicht mehr dabei?

P.M.: Gar nicht. Ich konnte nicht mehr. Ich wusste, ich habe im Gefängnis gelernt, wenn ich dieser Gruppierung jetzt nach meinem Gefängnisaufenthalt wieder gegenüber trete, dann geht das so weiter. Und das wollte ich nicht. Ich hatte mir geschworen im Gefängnis, nie wieder da hin zu gehen. Und ich wusste, wenn ich da rauskomme und mich dieser Gruppierung wieder anschließe, dann ist mein Weg komplett falsch.

FF: Und wie standen die Kameraden von früher dazu?

P.M.: In der Zeit, wo ich im Gefängnis war, war auch keiner meiner sogenannten Brüder oder Kameraden zu Besuch. Ich kann das verstehen, dass die nicht da gewesen sind. Die hätten ihre Personalien preisgeben müssen. Aber… ich war halt allein da drin. Ich habe dann zugesehen, dass ich nicht mehr in mein altes Umfeld zurückkomme. Ich bin in einen anderen Stadtteil gezogen. Ich wollte diese Konfrontation nicht aushalten, sonst hätte ich dem nachgegeben. Ich wäre gefeiert worden, weil ich im Gefängnis war. Und genau das wollte ich nicht.

FF: Es gab in der Jugend kein schlechtes Gewissen?

P.M.: Nein. Ich wusste, dass ich was Falsches mache. Aber ich hatte keine Alternativen, und ich hatte keine Ziele, keine Aufgaben. Ich war so wie Wasser im Meer, verloren, einsam, hilflos. Ich habe Zugehörigkeit gebraucht.

FF: Hast du das Gefühl gehabt, dass es den anderen in deiner Gang ähnlich ging?

P.M.: Na klar. 70, 80 Prozent.

FF: „Ich mache etwas Falsches“: Hättest du das laut sagen können?

P.M.: Nein.

FF: Das sind nur deine Gedanken gewesen?

P.M.: Ich habe das so wahrgenommen, aber ich hätte mich niemals getraut zu sagen: „Das, was wir hier machen, ist kriminell.“ Oder „falsch“ Das wäre ja gegen die Gemeinschaft gewesen.

FF: Gewalt ist eine Faszination und ein Mittel für dich gewesen. Und nach dem Gefängnis nicht mehr?

P.M.: Ja. Und das hatte gar nichts damit zu tun, dass ich die Würde des Menschen respektiere, das ist mir letztendlich situationsbedingt egal. Wenn ich eine Situation erlebe, mit der ich nicht klarkomme, wenn mein Kopf sagt: „Das darf der sich doch jetzt nicht anmaßen!“ und ich mir nicht selber zu helfen weiß... Heute wird so eine Situation nie wieder entstehen, weil ich weiß, dass ich, wenn ich so gereizt werde, dann will der andere mich halt aus der Reserve locken, dann drehe ich mich um, und lasse ihn stehen. Das ist das größte Maß an Verachtung, dass ich dann demjenigen zeigen kann. Wenn der mich verletzten will, dann drehe ich mich um und gehe.

FF: Es gab also damals eine Lust auf Gewalt, die es heute nicht mehr gibt?

P.M.: Ja. Definitiv.

FF: Und die hast du heute nicht mehr?

P.M.: Hmmm. Nein. Mein Körper sagt: Geht nicht.

FF: Aber vom Körper abgesehen?

P.M.: So manche Situationen erlebe ich schon, wo ich denke: Der braucht mal eine Stirn.

FF: Als Reaktion, wenn du provoziert wirst?

P.M.: Ich werde gar nicht provoziert. Wenn ich eine Situation sehe, von außen betrachtet. Da denke ich: Eine Stirn oder zwei, drei Faustschläge in die Fresse würden dem auch mal ganz gut tun.

FF: Gab es Frauen in der Gruppe?

P.M.: Ja. Aber ganz wenige. So von hundert eine. Blieb im Rahmen. … Aber wenn zwei Gangs gegenüber standen und Frauen waren dabei, dann haben die sich an den Haaren gezogen. Ist halt ein Mädchenfight gewesen.

FF: Gab es Zuschauer bei den Kämpfen?

P.M.: Wir haben immer zugesehen, dass wir an Orten sind, die nicht so eingesehen werden konnten.

FF: Wie war das Verhältnis zur Polizei?

P.M.: Ja, oberflächlich haben wir sie verachtet. Aber tief im Herzen drin …  Da gab es natürlich dann auch die, die besonders hervorstechen wollten, die haben sich mit fünf Polizisten angelegt. Einzelne. Die sind dann verhaftet worden. Aber als sie rauskamen, waren sie die Helden, weil sie sich mit der Polizei angelegt hatten.

FF: Gab es jemand, der sich überlegt hätte, Polizist zu werden?

P.M.: Nein. (lacht) Mit dem Vorleben? Nein. Nicht, dass ich wüsste.

FF: Was würdest du den Sicherheitskräften empfehlen, wie sie mit gewaltbereiten Fußballfans umgehen sollten? Oder ist der Rat: In Ruhe lassen?

P.M.: Nein. In Ruhe lassen dürfen sie es ja nicht. Die Polizei, die sollte respektvoller, energischer auftreten. Diese ganzen Männchen, die von der Uni kommen, die dann da stehen und ihre Erfahrungen machen, man sieht denen doch die Angst an. Da mache ich einmal pffft. Dann fliegen die weg, die erschrecken sich doch zu Tode. Das ist so… es tut mir leid, aber ich kann es nicht anders ausdrücken.

FF: Du würdest sagen, dass die Polizisten früher wussten, auf was sie sich einlassen?

P.M.: Natürlich. Und die hatten auch keine Angst. Was meinste, wenn da Leute mit Helm und mit Schlagstöcken und mit Vollweste ausgestattet, auf dich zugelaufen sind… Da haben auch 10 Polizisten 100 Mann in die Flucht geschlagen. Allein von der optischen Wirkung her. Es gab da Fanbeauftragte, die mit dem Verein kooperiert haben, einmal im Monat wurden Treffen veranstaltet: „Was wollen die Fanclubs? Oder: Wie können die Fanclubs sich besser im Stadion verhalten? Wie hat der Verein Einfluss da drauf?“ Wenn diese Gespräche alle stattgefunden haben, dann war das Ganze so ein bisschen entzerrter. Und heute sind ja sogar Streetworker und alles da, die am Thema vorbei arbeiten. Es wird nur noch auf die Fußballfans eingeschlagen, und gar nicht mehr auf den Hintergrund geschaut.

FF: Du würdest sagen: Die Vereine sollen mehr auf die „Hooligans“ zugehen? Dass da mehr Gespräche stattfinden?

P.M.: Natürlich. Weil, damals ist es so gewesen: Ich rede jetzt von den Ultras, die Bengalos zünden. Die hat es immer schon gegeben. Aber wir, in unseren Kreisen, haben solche Situationen vermeiden können, weil wir einen guten Draht zu unserem Verein hatten, und der Verein uns gesagt hat: „Hört mal, ein Bengalo kostet uns 10000 DM. Wollt ihr unserem Verein schaden? Wollt ihr Stadionverbot und was-weiß-ich nicht alles, nehmt ihr das bewusst in Kauf? Ihr mögt uns doch?“ So haben die argumentiert. Und diese Kommunikation, finde ich, muss besser stattfinden.

FF: Das hat euch durchaus erreicht?

P.M.: Ja. Das hat uns erreicht. Und deswegen auch die Situation, dass in den Stadien selbst Schlägereien schon wirklich ganz selten waren. Weil die Kommunikation damals besser gewesen ist. Heute ist das alles nur noch Kommerz, es geht nur noch um Geld. Wenn man hört, 200 Millionen Euro kostet der Transfer von Ronaldo nach Italien... 200 Millionen, das sind ja Summen! Ein Drittel davon in Fanprojekte, Mitarbeiter, auch festangestellte Mitarbeiter, die in die Fangruppierungen reingehen und Aufklärungsarbeit betreiben, fände ich viel sinnvoller angelegt als das ganze Soziale mit den Streetworkern, die dann teilweise eh gar keine Ahnung haben. Wir als Gruppe, wir haben das gerochen, ob jemand Fußball mag oder nicht. Wenn der aus irgendeinem anderen Bereich kam, dann haben wir den rausgeschmissen. Da hatte der nichts zu suchen gehabt.

FF: Hat Politik irgendeine Rolle gespielt?

P.M.: Nein. Hatte nichts, null damit zu tun.

FF: Das heißt, du würdest keine Tendenz sagen können, ob man in deiner Gruppe eher rechts oder eher links war? Das war völlig egal?

P.M.: Nee, so würde ich das dann auch nicht sagen. Damals in dieser Situation hätten wir alle die Rechten, also „rechts“, „Gewalt“, „Ausländer raus“ bevorzugt gewählt. Da hat uns das andere überhaupt nicht interessiert. Da war nur Gewalt und Hass! Und nicht-geliebt-sein hat ja auch was mit Wut und mit gesellschaftlicher Kritik zu tun.

FF: Gab‘s auch Gewaltausbrüche außerhalb des Spiels?

P.M.: Natürlich. Wie im richtigen Leben.

FF: Alltäglich oder eher selten?

P.M.: Kam auch vor. Du darfst die Hierarchie nicht vergessen. In so einer Gruppe gibt es eine ganz klare Hierarchie, die man sich erarbeitet. Wenn man aufgenommen wird, dann ist man der Hiwi, der, der da gerade zugekommen ist. Und mit den Jahren baut man sich eine gewisse Personalität innerhalb der Gruppierung auf.

FF: Wo warst du in der Hierarchie?

P.M.: Oberes Drittel. Mein Wunsch war natürlich, ganz hoch zu kommen.

FF: Chef zu sein?

P.M.: Natürlich. Aber irgendwann habe ich halt gemerkt, so hart bist du nicht. Es gibt gewisse Situationen, die ich nicht aushalten konnte.

FF: Wenn du einen 16-Jährigen sehen würdest, der dort in diese Kreise hinein will, aus der gleichen Motivation wie du, was würdest du dem raten?

P.M.: Junge! Such dir ‘ne andere Sportart.

FF: Ne andere Sportart wäre für dich damals nicht in Frage gekommen.

P.M.: Ich glaube, das war gar kein bewusster Schritt, dahin zu gehen. Die Suche nach Familie, nach Geborgenheit, war so stark in mir, dass ich mir halt durch die kriminelle Vorgeschichte, gepaart mit meinem Elternhaus, diese Situation der Hilflosigkeit vorgefunden habe, zu sagen: Da ist jemand, wenn du da gut bist, dann hast du Familie. Und gut sein, bedeutete in diesen Kreisen damals: Je härter du bist, je stärker du zuschlägst, umso größer ist dein Ansehen in der Gruppe.
Wenn jemand mir damals diese Frage gestellt hätte, die du mir gerade gestellt hast, dann hätte ich dem in die Fresse gehauen. Weil ich gar nicht offen für solche Situationen war. Mein Horizont war so eingeschränkt, dass ich das gar nicht gesehen habe. Heute würde ich diesen 16-Jährigen an die Hand nehmen und ihm andere Möglichkeiten – mit dem Fußball zusammen – andere Möglichkeiten anbieten, um Aggressionsabbau zu betreiben. Man kann im Boxverein am Sandsack, da kann man seine Aggressionen gut frei lassen, ohne Menschen zu verletzen und trotzdem die Leidenschaft am Fußball noch zu haben.

FF: Das heißt, was dir gefehlt hat damals, war jemand, der dich an die Hand nimmt und der dich leitet? 

P.M.: Ja. (Pause) Oh Mann, das tut gerade weh. Wenn ich mein eigenes Leben spiegele und reflektiere, dann merke ich und weiß, wie damals auch, dass das falsch ist. Aber… Ich hatte keine Daseinsberechtigung in der Gesellschaft. Und ich fühlte mich ja auch immer am Rande der Gesellschaft. Weil: Es ist nicht normal, dass jemand immer geschlagen wird, zu Hause, dass einem der Vater keine Liebe gibt, und dann sich Dinge zu suchen, die dann halt ein Ersatz dafür sind. Und jemandem heute… mit 16 ist schon viel zu spät… das muss viel früher anfangen...

FF: Gibt es etwas, was du den fairen Fans (und vielleicht auch den unfairen Fans) da draußen mit auf den Weg geben möchtest?

P.M.: Ja. Wenn anderen Menschen gegenüber Respekt gezollt wird, wie ich mir Respekt wünsche, dann ändert sich das ganze System. Wenn ich nicht auf die Fresse bekommen möchte, dann schlage ich auch niemanden. Und wenn ich etwas nicht möchte, dann ist immer der erste Weg, den Mund aufzumachen und das zu sagen. Und wenn man dann nicht weiter kommt, auch mal zurückzugehen. Zurückgehen ist keine Schwäche. Das ist alles ein Lernprozess und ich muss das aus dem Auge des Gegenübers betrachten: Wie fühlt sich der andere gerade? Und das ist mir wichtig, dass das auch irgendwo rüberkommt: Wenn ich den Respekt dem Gegenüber zeige, den ich mir gerne wünsche, dann wird ganz vieles besser auf dieser Welt. 

FF: Danke für dieses Interview.