Teil 1

Wege in die Gewalt

Die Fairen Fans verurteilen Hass und Gewalt in den Stadien und um sie herum. Nichts daran ist gut, geil oder sonstwie begrüßenswert. Trotzdem möchten wir verstehen, wie es dazu kommt, dass Menschen sich in Ausschreitungen und Exzesse verwickeln lassen oder aktiv daran teilhaben, wobei es immer nur scheinbar um Fußball geht.

In einer ersten Annäherung an dieses Thema haben wir uns deshalb mit einem Ex-Hooligan getroffen, der schon seit seiner Kindheit Fußballfan ist und einst in der Hooliganszene ein zu Hause gefunden hatte, bis er schließlich im Gefängnis landete. Wir haben ihn nach seinen Erinnerungen gefragt, um mehr von seinen persönlichen Beweggründen und von der Hooligan- und Ultraszene verstehen zu können.

Der Interviewte ist inzwischen 50 Jahre alt. Er gab seine Einwilligung zu diesem Interview aus Sicherheitsgründen nur unter der Bedingung, dass es anonym geführt wurde. Wir nennen ihn im Folgenden deshalb Peter M., sein wirklicher Name ist der Redaktion bekannt.

Das Interview wurde für Faire Fans von Markus Menhofer geführt. Wegen seiner Länge und Eindringlichkeit liegt es in zwei Teilen vor.

Fußballfans Stadion Bengalo

Sollte es eine Toleranz geben für so Gangs, im Sinne von: „Lass die Jungs machen, was sie machen.“?

Teil 1: Familienersatz und Gewalt. Ein WeRdegang.

Faire Fans: Faire Fans ist eine Website, die sich gegen Hass und Gewalt im Fußball einsetzt. Du warst überzeugter, aktiver Fußballfan. Hätte dich so eine Seite damals interessiert?

Peter M.: Nein.

FF: Warum nicht?

P.M.: Weil ich damals ganz andere Ausrichtungen hatte. Weil die Gewalt und das alles sich damals so in meinem Kopf festgesetzt hatte, dass solche Ansichten über Fanverhalten oder Ultras oder reine Gewalt mich überhaupt nicht interessiert hätten. So was ist mehr … von der verweichlichten Art.

FF: Wie bist du überhaupt Fußballfan geworden? Wie alt warst du, als du dich das erste Mal für Fußball interessiertest?

P.M.: Fußball begleitete mein Leben. Ich habe mit 4 Jahren in einem Verein angefangen. Damals gab es so eine Bambini Gruppe. Als Vorgeschichte: Ich bin mit Gewalt groß geworden. Mein Vater hat mich geschlagen. Gewalt war in unserer Familie ein sehr großes Thema. Ich war froh, wenn ich von zu Hause weg war, da ich mich zu Hause nicht geliebt gefühlt habe.

FF: Es hätte auch Tennis oder Handball sein können, aber es war Fußball…

P.M.: Ja. Ich brauchte ein Alleinstellungsmerkmal. Und das Alleinstellungsmerkmal beim Fußball ist halt der Torwart. Ich war mein ganzes Leben lang Torwart ohne Ende. Und ich habe das geliebt bis zum geht-nicht-mehr. Da kann man natürlich auch Aggressionen und solche Sachen rauspowern und das hat mich glücklich gemacht.

FF: Gab es den Wunsch, irgendwann Profifußballer zu werden?

P.M.: Ja. Der ist aber dann gescheitert, weil meine Leistung nicht dementsprechend gewesen ist. Ich habe mit 14 angefangen zu rauchen. Die Kondition muss bei einem Torwart genau so sein wie bei einem Spieler.

FF: Die Leute, mit denen du später in Schlägereien geraten bist: Haben die eine ähnliche Geschichte, eine aktive Liebe zum Fußball oder ist das mehr deine Geschichte?  

P.M.: Bei den Leuten, die ich kenne, ist es ganz viel Familienersatz. Suche nach Liebe, nach Gebraucht-werden, nach Aufgaben und … um sich beweisen zu können.

FF: Du hast also aktiv Fußball gespielt bis zu welchem Alter?

P.M.: 15, 16.

FF: Wann ging das los mit Schlägereien?

P.M.: Meine Gewaltbereitschaft fing schon viel früher an. Ich habe geklaut, Schlägereien gehabt. Das ging aber schon viel früher los. Für den Fußball, das ist so eine fließende Situation gewesen. Wenn mir da einer blöd gekommen ist, dann hieß es: Entweder du oder ich. Reden war nicht angesagt. Und ich habe schon während der Fußballzeit Situationen erlebt, damals als Kind. Nur ein kleines Beispiel. Da bin ich an einem Fluss entlang gefahren. Mit dem Fahrrad. Und da kamen – ich weiß es noch wie heute – sieben Ultras aus dem Gebüsch gesprungen. Und haben mir mein Fahrrad geklaut, meine Kutte und alles weggenommen, den Schal weggenommen, und haben mich dann runter zum Wasser geschmissen. Ich war ja ein Kind, ich konnte nichts machen. Und die standen erst da und sind dann einfach weggegangen. Ich nach Hause, ich habe natürlich geweint. Und mein Vater, als erstes habe ich von dem voll eine in die Schnauze gekriegt. So nach dem Motto: Wieso weinst du? Und dann, - das fand ich cool - hat er sich angezogen und ist mit mir durch die Kneipen gegangen und hat die Leute gesucht.

FF: Und gefunden?

P.M.: Leider nicht. Aber das war schon beeindruckend.

FF: Und später hast du dann zurück geschlagen?

P.M.: Ganz stark wurde es vor meinem Gefängnisaufenthalt. (vom 17. bis 20. Lebensjahr. Anm. d R.) Wo ich mit mir und meinen Situationen und zu Hause nicht mehr klarkam. Mit 15, 16 merkte ich: Mit mir stimmte was nicht… natürlich aus heutiger Sicht… Damals wusste ich das noch nicht. Für mich ging es immer darum, der Beste zu sein. Im Kartenspiel, im Eisschuhlaufen. Und meine Aggression wurde schon geschürt, wenn jemand etwas besser konnte als ich. Dann wurde ich gewalttätig. Da fing das dann so langsam an.

FF: Die Leute, mit denen du unterwegs gewesen bist in Schlägereien, waren das die coolen und interessanten Leute?

P.M.: Ja, klar. Letztendlich sind das ja Gruppierungen, die sich zusammenschließen, um durch Gewalt herauszustechen, um etwas Besonderes zu sein. Alleine durch das Auftreten. Und durch Zusammengehörigkeit…. Die gaben mir, aber auch ganz vielen anderen, das Gefühl von: Familie.

FF: War es also eine Gang?

P.M.: Ja, mit Aufnahmeprüfungen. Du musstest durch Mut und deine Leistung zeigen, dass du es wert bist, da aufgenommen zu werden. Aber dann auch bedingungslos. Das ist eine bedingungslose Liebe.

FF: Wann war deine Aufnahmeprüfung? Wie hast du zu deiner Gang gefunden?

P.M.: Ende 15, Anfang 16 Jahre. Dadurch, dass ich immer groß war, wirkte ich immer älter. Der, der als Vorletzter aufgenommen wurde, dem wurde gesagt: So, jetzt hauste dem P.M. in die Fresse – aber den Kampf hab ich gewonnen! Und ansonsten Kraftspiele halt. Oder der Chef kam und fragte mich: „Biste hart?“ Ich sag: „Probier‘s aus.“ Und dann hat der mir eine Zigarette auf dem Arm ausgedrückt und ich hab es halt ausgehalten. Das war total kindisch, aber so Spiele haben gegolten.

FF: Als Mensch habe ich einen Instinkt. Ich will weg von Schaden. Ich will ja eigentlich vermeiden, dass mir was wehtut.

P.M.: (lacht) Falsch. Schmerz ist für mich und für solche Menschen total sekundär. Schmerz ist einfach nur eine Situation. Kinder sagen „Aua“ dazu. Wenn du zu Hause Gewalt erlebt hast, schlimme Gewalt, interessieren dich Schmerzen gar nicht. Dann hast du halt ein dickes Auge, eine blaue Lippe, das ist scheißegal, Hauptsache, du warst mutig und stark. … Nasenbrüche und so was, das war halt Alltäglichkeit. Da haben wir die Nase gerichtet, sind wir nicht mal zum Arzt gegangen. Das macht einmal „krrk“. Da konntest du halt die Tränen aus den Augen nicht… weil es halt wirklich wehgetan hat.

FF: Das heißt, Schmerz aushalten ist wie….

P.M.: Ein Ersatzgefühl, wie geliebt zu werden... Ich kannte ja nichts anderes von zu Hause. Schmerz ist ein Zeichen von Liebe gewesen. – Für mich.

FF: Du hast Fußballspiele besucht im Stadion?

P.M.: Ja, leidenschaftlich.

FF: Alle Gewalttätigkeit fand aber außerhalb des Stadions statt?

P.M.: Es kam auch zu Gewaltausbrüchen im Stadion, auf den Rängen. Aber im Stadion ist es eher seltener gewesen. Wenn wir uns im Stadion geschlagen hätten, und die Polizei und die Ordner hätten das mitgekriegt… Ja, die Polizei hatte damals noch eine Wertschätzung. Wenn man Uniform, bewaffnete Uniform gesehen hat, da hat man noch Respekt gehabt.

FF: Das ist heute nicht mehr so?

P.M.: Nein.

FF: Was glaubst du, warum es nicht mehr so ist?

P.M.: Die Gewaltbereitschaft in der Gesellschaft ist in einem Maß angezogen, wo ich manchmal denke: Da geht es nicht mehr um die Bedürfnisse des Einzelnen, sich zu schlagen, sondern da geht es einfach nur noch darum, zu siegen. Bedingungslos.

FF: Aber darum ging es doch bei euch auch…?

P.M.: Ja. Aber nicht in dieser bedingungslosen Situation wie heute. Heute z.B. läufst du Gefahr, wenn du jemanden dir ausguckst, dass du ein Messer in die Rippen bekommst. Und so was ist natürlich fatal. Das war damals nicht so.

FF: Es gab keine Waffen?

P.M.: Doch, die gab es. Aber der, der mit Waffen gekämpft hat, der galt als Feigling. Manche haben zum Eigenschutz ein Nunchaku oder solche Sachen gehabt, oder Messer auch. Aber wenn wir zu einer Schlacht gegangen sind, dann haben wir dafür gesorgt, dass wir unsere Sachen weggetan haben, damit wir nicht in die Versuchung kommen, diese Waffen zu benutzen. Und wer eine Waffe benutzt hat, in diesen Situationen, der war aus der Gruppe raus… der war sofort ausgeschlossen.

FF: Also: Man hat sich während des Spieles verabredet….

P.M.: Oder auch vor dem Spiel. Da gab es einen, der für solche Situationen zuständig war, für unsere Gruppierung, der dann gesagt hat, - oder per Telefon, nach dem Spiel: „Ne Stunde später treffen wir uns da und da. Seht zu, dass ihr die Polizei...“ damals waren das die „Bullen“, „…dass die euch nicht folgen, und dann treffen wir uns am Standort XY.“  Und dann: Attacke.

FF: Und wie lief das dann ab?

P.M.: Da war sowas wie eine Spielfeldgrenze, da waren 20 Meter Luft zwischendrin. Auf der anderen Seite war der gegnerische Fan, wir standen hier, und dann: Der, der als erstes brodelte, der Mutigste, - war immer der Chef oder stellvertretende Chef, - und wenn der „Attacke“ gebrüllt hat: Dann aufeinander.

FF: Dann rennen alle aufeinander zu?

P.M.: Aber volle Lotte.

FF: Das waren wie viele?

P.M.: Das ist ganz unterschiedlich. Die kleinste Schlägerei, das waren von 30… 40 Mitglieder bis zu 100… 150. Und da kommt‘s natürlich auch darauf an, ob der Gegner so viele Leute findet.

FF: Dann schlage ich jemanden, oder werde geschlagen?

P.M.: Genau.

FF: Irgendwann liege ich auf dem Boden, weil‘s weh tut, oder weil ich nicht kann, oder weil ich das Bewusstsein verloren habe…?

P.M.: Ja. Es gab immer zwei No-Gos bei solchen Schlägereien. Einmal, der Tritt in die Weichteile. In die Eier. Das war total verpönt. Da hast du keine Kontrolle mehr über den Körper. Ich habe 3-mal so einen Tritt gekriegt. Und Augen. Augen ging gar nicht.  

FF: Also ein Schlag gegen die Schläfe ist okay….

P.M.: Das ist egal. Auch ein Schlag aufs Auge. Aber Fingerspitze oder Daumen ist unfair.

FF: Regeln, an die sich auch die meisten gehalten haben?

P.M.: Ja. Wie gesagt, ich habe drei Mal auf dem Boden gelegen. Das war nicht so schön.

FF: Und dann, wenn ich auf dem Boden liege, dann weiß ich aber auch, ich habe die Sicherheit, da trampelt niemand auf mir herum?

P.M.: Damals hieß es, wenn du auf dem Boden liegst und die Schutzstellung einnimmst, - das heißt, Kopf in die Arme nehmen und sich zusammen rollen, wie in der Babystellung - dann ist der Kampf vorbei. Das wurde damals respektiert. Da wurde der nächste Gegner genommen. Denn die Schlägerei war ja nicht vorbei. Die war erst vorbei, wenn der Gegner sich zurückgezogen hat, oder alle am Boden lagen.

FF: Hast du selbst auch einen Kampf verloren?

P.M.: Ja. (lacht) Nicht nur einen.

FF: Kein schönes Gefühl?

P.M.: Nein. (lacht)

FF: Gab es auch das Bewusstsein: „Ich bin radikal. Ich übertrete Gesetze!“

P.M.: Ja

FF: Aber es gibt ja auch Leute, die wollen einfach nur ein Fußballspiel sehen…

P.M.: Genau. Und das war halt unsere Meinung: Wenn die keinen Stress wollten, dann gehen die schon weg. Familienväter, mit Kindern oder so was, das war ein No-Go. Wir hätten uns geschämt, solche Leute anzugehen, anzupöbeln, manche sind dann halt betrunken gewesen, und sind dann halt außerhalb ihrer geistigen Möglichkeiten gewesen. Dann hätte das schon mal vorkommen können.

FF: Hat man auf die herab gesehen?

P.M.: Nein, das waren einfach normale Leute, die mit unserer Gruppierung und unserer Motivation nichts zu tun hatten. Die hatten aber auch ihre Daseinsberechtigung. Das war ja toll. Wenn du ein volles Stadion hast, gibt es ja auch eine tolle Stimmung.

FF: Wie wichtig würdest du „Ehre“ bei den ganzen Vorgängen beschreiben? Ist oder war das alles eine Frage der Ehre?

P.M.: Natürlich. Also wenn du keine Ehre hattest, hättest du keine Schnitte in so einer Gruppe gehabt. Und wenn du erhobenen Hauptes aus einem Kampf raus gegangen bist - egal, wie kaputt du bist - dann war es eine Ehre zu sagen: „Hast einen guten Kampf gemacht.“ Weggegangen, den nächsten genommen.

FF: Sollte es eine Toleranz geben für so Gangs, im Sinne von: „Lass die Jungs machen, was sie machen.“?

P.M.: Nein!

FF: Warum nicht?

P.M.: Weil es Schwachsinn war. Weil es die niederste Form der Auseinandersetzung war.

 


 

Fortsetzung folgt...

Teil 2

Wege in die Gewalt

Trotzdem möchten wir verstehen, wie es dazu kommt, dass Menschen sich in Ausschreitungen und Exzesse verwickeln lassen oder aktiv daran teilhaben, wobei es immer nur scheinbar um Fußball geht.