Alexander H. Gusovius Alexander H. Gusovius
Mitglied seit 2019
Redaktionelle Leitung
04.12.2019

Fairer Fussball

Es ist ein Skandal, wie oft Schiedsrichter, besonders in den unteren Ligen, übelsten Aggressionen ausgesetzt sind. Deshalb kam es bereits zu Schiedsrichter-Streiks im Saarland und in Berlin. Und was folgt daraus? Natürlich gibt es die üblichen Solidaradressen und andere, wenig hilfreiche Worte, doch insgesamt spürt man wenig Bereitschaft, zum Kern der Gefährdung von Schiedsrichtern vorzudringen, das Problem an der Wurzel zu lösen und den Fußball auf neue, andere Füße zu stellen – der dabei zudem, was ihm als Massenbewegung gut anstehen würde, eine Art gesellschaftliche Vorreiterrolle einnehmen würde.

Denn das Vordringen von Hass und Gewalt ist wahrlich nicht auf den Fußball beschränkt. Und wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen ist auch in Sachen Schiedsrichter-Aggression jener Kipp-Punkt nicht weit, ab dem man des Problems nicht mehr Herr wird. Noch wäre es relativ leicht, es aus der Welt zu schaffen. Wenn man nur wollte. Doch um wirklich zu wollen, müsste man mit ein paar Vorstellungen aufräumen, die den Fußball bis heute prägen.

Einst waren Schiedsrichter nur im verbalen Sinn „Prügelknaben“, an denen sich mitunter der Frust und die Verzweiflung über sportliche Pleiten entlud. Gelegentlich waren auch Bierduschen zu überstehen. Aber damit hatte es sich in der Regel auch schon: Gefahr an Leib und Leben bestand nur höchst selten. Das Wort „Prügelknabe“ liest sich inzwischen etwas anders: Schiedsrichter werden fast regelmäßig auch getreten und geschlagen. Von leider sehr glaubwürdigen Drohungen gegen Leib und Leben zu schweigen, die in den untersten Ligen beinahe an der Tagesordnung sind.

Doch nicht nur dort. Offenbar ist es selbst im Jugendbereich mittlerweile normal, dass Schiedsrichter bedroht und angegriffen werden, meist seitens wütender bzw. gänzlich enthemmter Eltern, die ihren Zöglingen damit auch noch klar signalisieren, was es im Leben aufzubieten gilt, um seine Ziele zu erreichen. Und genau darum geht es: außer der Frage, wie den drangsalierten Schiedsrichtern zu helfen ist, steht die Frage im Raum, welche Handlungsmaximen sich im Fußball breitmachen bzw. den Fußball von innen her zu zerfressen drohen – und was davon in die Gesellschaft überschwappt.

Ein oft übersehener Aspekt bei der ganzen Problematik ist Übrigen auch, dass Profi-Spieler bei Schiri-Entscheidungen unverhältnismäßig oft wild protestieren, respektlos gestikulieren usw. Dieses wütende Zurschaustellen ist eine weitere Spielart von Aggression, die den Fußball mehr charakterisiert, als man gemeinhin denkt, und zunehmend gefährdet. Das üble Wegrempeln kürzlich von Freiburgs Trainer Streich durch den Frankfurter Spieler Abraham zeigt, wohin die Reise zu gehen droht.

Das entscheidende Großkapitel spielt sich jedoch in den sog. Fankurven ab, wo Hass und Gewalt, gerade auch in Gestalt von Pyrotechnik, nicht ernst genug sanktioniert werden. Immer noch tendiert der DFB zu Alibi-Urteilen, die nicht wirklich weh tun und gern auch mal zur Bewährung ausgesetzt werden. Der Grundirrtum bei dieser weichen Rechtsprechung besteht darin, dass man dem Fußball eine hohe Emotionalität konzediert, was eine gewisse Nachsicht erforderlich mache... Nur dass die Emotionen auch bei anderen Sportarten hochgepegelt sind, ohne ähnliche Exzesse zu generieren.

Eingetragener Verein

Der als gemeinnützig anerkannte Verein „Faire Fans e.V.“ versteht sich als Stimme der schweigenden Mehrheit der friedliebenden Fans.

Ginge es wirklich um Emotionen, wäre das Problem rasch zu regeln. In Wahrheit jedoch geht es um charakterlichen Wildwuchs, der sich nur als Emotionalität tarnt, um ungestört sein Unwesen treiben zu können. Und das in diversen Facetten: tretende Spieler, pöbelnde Funktionäre, ausrastende Eltern, hasserfüllte Fanhorden usw. usf. Und über allem thront immer noch der beschwichtigende Satz, so sei der Fußball eben, und man müsse Verständnis für die Seelennöte der Täter aufbringen.

Will man an den grassierenden Missständen und Bedrohungsszenarien etwas ändern, muss man darüber nachdenken, den Fußball mit einem harten Schnitt hass- und gewaltfrei zu machen. Dazu sollte vor allem anderen der Strafenkatalog für alle beteiligten Gruppen aus Sport und Fanwesen dramatisch verschärft werden, bis es niemand mehr wagt, über die Stränge zu schlagen, weil der Schaden für den Täter enorm wäre. Dazu braucht es rigorose Stadionverbote, Punktabzug und Geldstrafen, die ihren Namen im hochbezahlten Fußball verdienen.

Um die Bereitschaft zu solcher Verschärfung seitens der Vereine und Verbände zu erhöhen, und um zu verhindern, dass alle die Verhältnisse beklagen, aber sich jeder, wenn es darauf ankommt, hinter dem andern versteckt, müssten DFB und DFL erst einmal eine Agenda aufsetzen, die jegliche Emotionalität ächtet, die anderen Schaden zufügt. Und in den Jugendbereichen des Fußballs muss der absolute Respekt vor den Schiedsrichtern ganz oben auf die Tagesordnung gesetzt werden: Widerworte der jungen Spieler werden geahndet, Tätlichkeiten münden in Sozialdienste, pöbelnde oder schlimmer auftretende Eltern bekommen Hausverbot.

Diese Agenda, die „Fairer Fußball“ heißen muss, sollte von der riesigen Mehrheit der gewaltlosen und fairen Fans unterstützt und in die Gremien von DFB und DFL getragen werden. Denn es geht um nicht mehr und nicht weniger als um den Fußball – so wie es gesamtgesellschaftlich bei ebenfalls zunehmenden Hass- und Gewaltdelikten darum geht, das Umkippen unserer gewohnten Welt in eine Dschungelgesellschaft zu verhindern. Der Fußball könnte bei dieser wichtigen Thematik nebenher auch noch eine zentrale, seinem Gewicht entsprechende Rolle einnehmen, anstatt sich weiter in hochauflösenden Bildern und künstlicher Dramatik zu verlieren, flankiert von groben Gefährdungen, über die man lieber nicht so viel spricht. Gehen die Dinge in dieser Weise jedoch ungebremst fort, geht in ein paar Jahren kaum noch jemand ins Stadion und verliert der Fußball auf ganzer Linie!


 

Bildquelle:
Christian Dammert (Portrait Alexander H. Gusovius)

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