Sehen so sieger aus?

von johannes wierz

Das Spiel ist aus, und nicht nur die Fans aus der Nordkurve schauen ungläubig auf den riesigen Stadionmonitor. Dort steht es amtlich: Borussia Mönchengladbach befindet sich am 7.Spieltag auf Platz eins der 57. Bundesligasession. Ein Nachbar bittet mich ihn zu kneifen, ein anderer prostet mir zu...

Vor mir machen mehrere Fans Fotos von der elektronischen Anzeigetafel. Etwas abseits googelt ein Besserwisser, wie lange es her ist, dass Borussia Mönchengladbach die Tabellenführung erobert hat. Wobei der erste Spieltag bei mir nicht zählt. Denn der erste Spieltag ist ein Glückstopf mit vielen Nieten, aber auch mit überraschenden Hauptgewinnern. Am 7. Spieltag oben zu stehen, das hat schon was.

Wer hätte aber auch gedacht, dass Bayern München zuhause verliert?

„Ich“, sagt der Besserwisser, „wenn Wies’n sind, verlieren die Bayern immer!“

Na ja, denke ich, bei dem Wort „immer“ bin ich misstrauisch. Aber was soll’s. Heute Abend lasse ich mir die Laune nicht vermiesen. Bei einem Fünf zu Eins Sieg und der errungenen Tabellenführung kann man ruhig noch eine Wurst essen und ein Bierchen zischen lassen.

Ein Augsburger Fan haut mir auf die Schultern, lädt mich auf ein Bier ein und lässt auch noch ein paar Würste springen. Weihnachten Anfang Oktober kann sehr schön sein. Zwei Wochen Tabellenführung ist uns dank Länderspielpause sicher. Ein schönes Gefühl, das sich auf die Menschen, die gerade das Stadion verlassen, übertragen zu haben scheint. Selbst auf dem Parkplatz geht es gesittet zu, kein Geschrei und kein Hupen. Erst auf dem Weg zur Autobahn werden die Fanfaren auf Dauerleistung gedrückt. Die Polizisten winken zurück und wirken wie Spaziergänger nach einem gelungenen sonntäglichen Ausflug.

Sieht so das Paradies aus? Zumindest wäre es eine Utopie. Man stelle sich vor, alle zwei Wochen wechselt der Tabellenführer und zwar so, dass jede der achtzehn Mannschaften einmal ganz oben steht. Wie friedlich müsste es da in den Stadien zugehen...

Die Verlierer laden die Gewinner auf ein Bier ein mit der Gewissheit, selbst irgendwann ganz oben zu stehen. Siegestrunken liegt man sich in den Armen, anstatt sich verbal oder körperlich an die Gurgel zu gehen. Und spannend wäre es auch noch! Bei einem oder zwei Punkten Vorsprung in der Tabelle ist jeder neue Spieltag eine Lotterie. Es gäbe nur noch Spitzenspiele. Die Einschaltquoten würden in den Himmel steigen. Und um einer Wettbewerbsverzerrung vorzubeugen, fänden ausschließlich Samstagsspiele statt, die alle zur selben Zeit angepfiffen werden würden. Dazu kämen Schaltkonferenzen – und das alte Transistorradio würde Auferstehung feiern, weil alle Mobilfunknetze zusammengebrochen wären.

Eingetragener Verein

Der als gemeinnützig anerkannte Verein „Faire Fans e.V.“ versteht sich als Stimme der schweigenden Mehrheit der friedliebenden Fans.

„Die spannendste Liga der Welt“, würden nationale und internationale Gazetten titeln, selbst die Polarforscher auf der Neumayer-Station III in der Antarktis wären Samstagnachmittag über Satellit live dabei und die Zuschauer bekämen mit, wie schwerelose Astronauten aus dem All grüßen. Sponsoren würden Schlange stehen, um ihr Firmenlogo auf einem der achtzehn Spitzenklubs zu platzieren.

Die Stadien wären alle restlos ausverkauft, nicht nur, weil sich die Bereitschaftspolizisten unter die Zuschauer gemischt haben...

Längst sind im Stadion die Lichter erloschen. Die letzte S-Bahn zum Bahnhof habe ich verpasst, egal, denn mein neuer Augsburger Freund fährt mich mit dem Auto zum Bahnhof.

„Sechs andere Mannschaften haben am achten Spieltag die Möglichkeit, ganz oben zu stehen“, sagt der Besserwisser, der sich von der Rückbank aus zu Wort meldet und wie hypnotisiert auf das Display seines Smartphones starrt.

Sieben Mannschaften spielen um die Führung in der Tabelle, denke ich, vielleicht sind es am nächsten Spieltag schon acht Vereine; am neunten Spieltag neun Mannschaften, am zehnten zehn, und, und, und…

Am letzten Spieltag müsste man acht Kopien der Meisterschale auf die Stadien im Lande verteilen und per Lostopf entscheiden, wohin das Original geschickt wird.

Lächelnd schaue ich abwesend in den nächtlichen Himmel. Ich werde ja wohl noch träumen dürfen. Jeder Spitzenreiter tut das...

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